»Habt ihr mich verstanden?« ist nicht nur eine Einladung zur Kommunikationsklärung. Viel öfter ist es eine Aufforderung oder sogar ein Befehl. Darauf weist Rancière in seinem Buch »Das Unvernehmen« hin, und mir kommen sofort viele Bildungssituationen in den Sinn, in denen die Formulierung eines Auftrags mit der Frage »Ist das (soweit) klar?« endet.
Nun ist ein Auftrag in einem Bildungssetting in der Regel kein Befehl, dessen Nichtbefolgung dramatische Folgen hat. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass wer »Ist das klar?« fragt, in der Position ist, Aufträge zu erteilen, die in Frage zu stellen eine bewusste und oft mutige Entscheidung erfordert. »Ist das klar?« ist also keine offene Frage - nicht nur, weil sie nicht mehr als eine Ja/Nein-Anwort zulässt. Die Frage ist auch eine Positionierung. Sie signalisiert ein Rollenverständnis. Sie schafft Interaktionsfakten.
Das gilt natürlich nicht nur für diese Frage. Sprache insgesamt ist mehr als eine Frage des Stils: nicht einfach eine beliebige äußerliche Form. Sprache schafft und gestaltet Situationen, wie andere Formen der Bezugnahme auf die Welt - sinnliche Wahrnehmungen, Emotionalität oder Handeln - auch. Damit will ich nicht behaupten, dass sich solche Bezugnahmen nicht unterscheiden. Aber die Abwertung der Sprache im Verhältnis zum Handeln oder zur Sinnlichkeit, der ich manchmal begegne, erscheint mir etwas voreilig.
Sprache in Beratungs- und Bildungssituationen stabilisiert aber nicht nur Positionen. Sie ist auch eine Wundertüte, ein Kaleidoskop: Eine Situation kann sich bereits in einem andern Licht zeigen, wenn sie anders beschrieben oder erzählt wird. Konflikte können einer Klärung näher gebracht werden, wenn wir einen Blick auf die Sprache werfen, in der sie in Erscheinung treten. Sprachliche Interaktion ist nicht nur eine Frage der Formulierungen, sondern auch von Redeanteilen und damit oft von Machtverteilung.
All das betrifft natürlich nicht nur die direkte persönliche Kommunikation. Der Umgang mit der Ungewissheit, den uns das Coronavirus aktuell aufzwingt, hat krisenhafte Umstände erzeugt. Die offizielle Sprache in solchen Krisenzeiten tendiert zur Einheitlichkeit - trotz bemerkenswerter Unterschiede in der politischen Rhetorik von Regierungsverantwortlichen. Es gibt Sätze und Begriffe, die wir in den letzten Wochen hunderte Male gelesen oder gehört haben. Sie erscheinen mittlerweile fast ebenso real wie das Virus selbst - zumindest hier, wo noch immer eine Mehrheit nicht von Krankheit betroffen ist, sondern von Erwerbsausfall, Grenzschließungen, Ausgangsbeschränkung, gesteigerter Digitalisierung, leergekauften Regalen.
Sprache schafft Fakten, und die Übereinstimmung von Fakten erzeugt ein Gefühl von Sicherheit. Manchmal ist dieses Gefühl eine notwendige Erleichterung, manchmal eine Basis für Transformation. Manchmal ist es aber auch ein Klotz am Bein. Und nicht selten ist es alles gleichzeitig.
Unsicherheit kann lähmen, aber auch Sicherheit kann in Trance versetzen. Sprache ist auch ein Mittel, aus solcher Lähmung oder Trance herauszufinden zurück in gedankliche und »reale« Beweglichkeit. Sie ist ein Experimentierfeld für Ordnungen und Neuordnungen von Dingen. Auch in Zeiten eingeschränkter Bewegungs- und Handlungsspielräume bleibt sie uns als dieses Instrument erhalten.
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