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Wolf, Ente, Baum ... ... oder was Laila Bachtiars Zeichnungen mit Selbstreflexion in Bildung und Beratung zu tun haben

Auf den ersten Blick ist da wenig mehr als eine grauschwarze Fläche, die beinahe das gesamte Format einnimmt. Beim näheren Hinsehen beginnt die Fläche zu pulsieren, wird zum Körper im Raum. Sie besteht aus unterschiedlich ausgerichteten Schattierungen, unzähligen konzentriert gesetzten Bleistiftstrichen. Aufgrund der wechselnden Dichte des Auftrags ergeben sich unzählige Varianten von durchscheinender Dunkelheit. Die Fläche gestaltet sich aus zu Wölbungen und Senkungen. Sie reflektiert das einfallende Licht unterschiedlich stark. Das Dunkel scheint so mit zwei Arten von Helligkeit zu interagieren, um sich auszudifferenzieren. Unter diesen Schattierungen wird teilweise ein feines Netz von dünnen Bleistiftstrichen sichtbar, das über die Ränder der Fläche hinausragt, unter ihnen gespannt scheint. Manchmal reichen die Fäden des Netzes bis an die Ränder des Formats, manchmal schlingen sie sich in Kurven wieder unter die schattierten Gebilde zurück. Diese sind unterschiedlich klar als Figurationen erkennbar: ein Wolf, eine Ente, ein Baum; manchmal bleiben sie pulsierende Fläche. Die Konzentration, die die Herstellungsweise der Zeichnungen erfordert, übersetzt sich in intensive Präsenz: Jeder Strich erscheint zwingend. Obwohl die Zeichnungen auf den ersten Blick düster erscheinen, beginnen sie beim längeren Ansehen dynamisch und kraftvoll zu wirken. Ihre Fragilität hebt sich darin nicht auf.  

Die Künstlerin – Laila Bachtiar – hat eine sehr eigenwillige und differenzierte Formensprache entwickelt, die ihr erlaubt, variable Verbindungen von Fragilität und Kraft so auszuloten, dass eindeutige und stabile Zuordnungen oder Verhältnisbestimmungen sich nicht anbieten. Das führt aber nicht zu Kompromissen. Vielmehr werde ich eingeladen, meiner Wahrnehmung von Fragilität in der Zeichnung zu folgen und sehe mich unvermittelt mit kräftigem Widerstand konfrontiert. Wenn ich dann versuche, diese Kraft greifbar zu machen, mache ich die Erfahrung, dass mein Griff der filigranen Materialität nicht angemessen ist.

Ich weiß, dass Bachtiar von einer psychischen Erkrankung betroffen ist. Ich weiß auch, dass sie in der Klinik lebt und arbeitet. Ihr Werk erscheint mir aber mitnichten als die »kreative« Betätigung von jemand, die kein »normales« Leben führen kann und nun die Gelegenheit erhält, ihre Zeit mit etwas »Hochwertigerem« als Fernsehen zu verbringen. Die Zeichnungen interessieren mich unter künstlerischen Gesichtspunkten nicht weniger als wenn ich sonst in einer Galerie auf etwas stoße, das mich innehalten lässt. Anders aber als »sonstige« Galeriekunst sind die Zeichnungen Bachtiars – wie fast alle Werke der Art brut, die ich kenne – nicht in den aktuellen »Kunstdiskurs« eingelassen. Sie scheinen kaum mit aktueller Kunst in Dialog zu treten. Sie kommen mir aber auch nicht vor wie »expressionistische« Werke, die dem Sichtbarwerden von Gefühlen oder Gedanken dienen. Sie scheinen vor allem mit ihrer Herstellungsweise beschäftigt zu sein. Sie scheinen damit beschäftigt zu sein, ein Prinzip auf die aktuelle Situation zu übertragen, es mit Bezug auf diese Situation, also das jeweils konkrete Blatt und Motiv, zu transformieren. Deshalb wirken sie auch nicht autistisch, trotz der Beschäftigung mit sich selbst. Und obwohl sie von einer Notwendigkeit getragen erscheinen, treten sie mir als überraschende Dialogpartner gegenüber. Sie fordern mich heraus, sie laden mich ein, sie lassen sich manchmal auf meine Ordnungsangebote ein, widersetzen sich diesen aber auch.

 

In Bildung und Beratung auf gestalterische Formen zurückzugreifen, um zur Selbstreflexion anzuregen, sollte vergleichbar viel »Autonomie« und Widerständigkeit der Ergebnisse und entsprechend deren vielschichtige Auslotung ermöglichen. Darstellung als Ausdruck greift oft zu kurz. Es geht oft nicht um den Ausdruck von etwas »Innerlichem« oder darum, durch den Einbezug »kreativer« Methoden Tiefengrabungen anzustellen, die im nur sprachlichen Dialog nicht möglich sind. Selbstreflexion kann auch primär das differenzierende Bearbeiten von Oberflächen bedeuten und die Anwendung eines »Prinzips« auf die Imagination oder die Narration. Dabei ist dem, was entsteht, zuzugestehen, nicht ohne weiteres in Gefühle oder Gedanken übersetzbar zu sein, sondern ein Eigenleben zu führen und gerade als dieses unaufhebbare Element Teil des Prozesses beziehungsweise Teil der Wirkung zu sein.

 

 

Zeichnungen von Laila Bachtiar hängen in der auch darüber hinaus sehr sehenswerten Ausstellung gehirn gefühl.! brain feeling.! des Museums Gugging. Vertreten wird die Künstlerin von der Galerie Gugging.

 

Angaben zu den Bildern, die mir von der Galerie Gugging freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurden:

 

Titelbild

Bachtiar, Laila | Nummer: 2018-002); Titel: Baum; Format: 29,7 x 21 cm; Technik: Bleistift, Farbstift. Courtesy galerie gugging

 

Bild im Anschluss an den Text

Bachtiar, Laila | Nummer: 2016-006; Titel: Ein Wolf; Format 29,7 x 42 cm; Technik: Bleistift, Farbstift. Courtesy galerie gugging

 

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